Stargastronom Vincent Moissonnier; „Gutes Benehmen wäre ein wichtiges Thema im Unterricht“

Herr Moissonnier, wann ist Ihnen das letzte Mal ein Gast richtig auf den Nerven gegangen?
Grundsätzlich ist mein Beruf nicht dazu da, Leute zu belehren, sondern ich bin Gastgeber. Daher erinnere ich mich auch lieber an die schönen Erlebnisse als an die unangenehmen.
Sie schreiben in Ihrem Buch aber, dass Sie Ihre „Kundschaft bei aller Liebe und Professionalität manchmal eben doch ein wenig als Gegner betrachten“…
Habe ich das wirklich geschrieben?
Ja.
Nein, ein Gast ist kein Gegner, aber wie ich ihn beurteile, hängt immer davon ab, wie er sich benimmt. In unser Restaurant kommen immer mal wieder Leute, die uns den Eindruck vermitteln, dass sie gar keine Lust verspüren, bei uns Spaß zu haben. Um solche Gäste mache ich einen Bogen. Sie bekommen ihr Essen so klasse, wie wir es zubereiten können, keine Frage, aber ich werde nichts unternehmen, um sie noch zusätzlich zu unterhalten.

Im Serviettenschrank rechts auf dem Bild haben Stammgäste ihre eigene Serviette.
Quelle: Erik Chmil
Wie würden Sie denn reagieren, wenn jemand mit einer Jogginghose bekleidet Ihr Restaurant betritt oder am Tisch laut redet oder sich besonders schlecht benimmt?
Dann ist es meine Aufgabe, diese Leute ein bisschen zu zähmen und zu beruhigen. Wenn ein Gast in einem Jogginganzug kommt, macht er sich allein lächerlich. Er wird merken, dass die anderen Leute ihn entgeistert anschauen und sagen werden: „Mein Gott, sieht das peinlich aus.“ Aber meine Frau Liliane hat tatsächlich mal einen Gast nach Hause geschickt.
Warum?
Er war wirklich in einem miserablen Zustand. Es handelte sich um einen vermögenden Gast, der ein verdrecktes, verschwitztes T-Shirt trug. So etwas erleben wir schon genug in der Bahn, das müssen wir nicht auch noch hier in unserem Restaurant erdulden. Diesen Mann hat meine Frau gebeten, nach Hause zu gehen und in einem Hemd wiederzukommen. Das ist nur ein Beispiel dafür, dass das Niveau guter Erziehung und auch des Respekts anderen Menschen gegenüber in den vergangenen Jahren gesunken ist.
Woran machen Sie das noch fest?
Man erkennt es tatsächlich oft an der Kleidung. Ich binde mir zum Beispiel jeden Tag meine Fliege selbst, ich mag das. Das bedeutet für mich den Beginn meiner kleinen Theateraufführung hier in unserem Restaurant, denn so fühle ich mich als Gastgeber oft: wie in einem Theaterstück. Ich weiß, dass viele Gäste und viele Kundinnen dies mögen. Wenn ich mit verdreckten Schuhen herumlaufen würde, würden die Leute sagen, mein Gott, wie sieht der denn heute aus? Aus meiner Erziehung weiß ich, ein Erkennungsmerkmal bei einem Mann ist sein Schuhwerk. Wenn man teilweise sieht, was für Schuhe Menschen tragen, die in ihrem Beruf riesige Summen an Geld bewegen, oder wie sie mit ihrer Frau umgehen, ist das ein Armutszeugnis. Da ist viel Wissen und viel Erziehung verlorengegangen.
Wer mit Vincent Moissonnier spricht, erlebt einen grenzenlos freundlichen und zugewandten Menschen. Geboren 1960 im ostfranzösischen Epinal kam er nach seiner Ausbildung 1980 nach Berlin. Im damaligen Westteil der Stadt traf er seine heutigen Frau Liliane wieder, die er bereits aus seiner Heimat kannte. Gemeinsam eröffneten sie 1987 in Köln ihr Restaurant „Le Moissonnier“. Über die Jahre erarbeiten sich die beiden gemeinsam mit ihrem Koch Eric Menchon und vielen weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiten zwei Michelin-Sterne. Die berühmten Auszeichnungen sind zwar wertvoll für ein Restaurant, aber auch immer mit viel Druck verbunden. Als Moissonnier die dauernden Erwartungen, die Sterne zu halten, zu sehr erdrückten, schloss er gemeinsam mit Liliane Moissonnier das „Le Moissonnier“ und eröffnete es als Bistro wieder. Es dauerte allerdings nicht lange, bis er erneut einen der begehrten Sterne erhielt. Seine Erinnerungen und Erkenntnisse aus mehr als 40 Jahren Berufsleben hat der sympathische Franzose nun in seinem Buch „Ein Tisch am Fenster. Geschichten aus einem besonderen Restaurant“ (gemeinsam mit Bert Gamerschlag, Kiepenheuer & Witsch, 336 Seiten, 25 Euro) aufgeschrieben. Dort erfahren die Leser vom despotischen Vater, der Liebe seines Lebens und seinen bekannten und weniger bekannten Stammgästen. Moissonnier erzählt zudem von der Arbeit in seiner Branche, einer vermeintlichen Festnahme in seinem Restaurant und verrät nicht zuletzt Rezepte und praktische Tipps für die Küche. So hat der unermüdliche Gastgeber Vincent Moissonnier eine unterhaltsame Lesereise durch sein Leben aufgetischt.
Wer könnte dieses Wissen denn zurückbringen?
Heutzutage geht alles extrem schnell. Die Erziehung soll von der Schule übernommen werden, die Eltern haben angeblich keine Zeit dafür. Die Art und Weise, wie man sich am Tisch benimmt, welche Benimmregeln existieren, wird Jugendlichen, jungen Menschen von niemandem mehr vermittelt. Das ist wirklich schade, denn das Bedürfnis nach solchen Benimmregeln wird wieder kommen.
Zum Beispiel?
Wie behandle ich meine Frau? Viele Männer kommen zu uns, setzen sich sofort auf die Bank, ohne zu fragen und ohne sich zu kümmern, was die Begleitung möchte. Oder: Was mache ich mit meinen Händen? Muss ich mir die Hände vor dem Essen säubern? Ja, bevor du das isst, wäscht du dir die Hände. Diejenigen, die das heute schon wissen, werden einen großen Vorsprung haben. Dafür braucht es keine künstliche Intelligenz, diese Menschen können einfach auf das notwendige Wissen zurückgreifen, sie haben das gelernt.
Ist das etwas, was in der Schule gelehrt werden müsste? Gutes Benehmen als Unterrichtsinhalt?
Die Schule hat überhaupt keine Schuld daran, sondern die Eltern. Die sollen ihre Kinder erziehen. Trotzdem: Gutes Benehmen wäre ein wichtiges Thema im Unterricht. Ich habe das in meiner Kindheit in Frankreich erlebt. Dort haben wir gelernt, wie man mit den Lehrern redet, wie wir mit einem Notar umgehen, wie man sich gegenüber einem Bürgermeister verhält. Kinder können heute mit zehn Jahren schon fließend Englisch, können Handys perfekt bedienen, aber diese Grundregeln lernen sie nicht mehr. Das ist schade.
Mal zu etwas ganz anderem: Wer sind die besseren Köche, Italiener oder Franzosen?
Beide haben ihre Berechtigung. Aber ich sage: Die Deutschen.
Das glaube ich Ihnen nicht.
Ich sehe es so: Es gibt eine gute Küche, und es gibt eine schlechte Küche. Ich liebe die italienische Küche, wir haben sehr gute Freunde, die italienische Restaurants leiten. Ich liebe die französische Küche, weil sie weiterhin die Grundlagen des Kochens wie keine zweite kann. Aber ich liebe auch die deutsche Küche und deren Entwicklung der vergangenen Jahre, weil die Deutschen ein sehr lernwilliges Volk sind. In meinen Anfangsjahren hier habe ich noch sehr viel Schweinebraten und Kartoffeln erlebt. Heute sind die Deutschen und ihre Küche sehr kosmopolitisch geworden.
Was mögen Sie an der traditionellen deutschen Küche besonders?
Ich bin 1973 das erste Mal nach Deutschland gekommen, als Austauschschüler, nach Sinzig am Rhein. Da war ich 12 oder 13. Ich bin damals bei einem Schreiner gelandet, das war ein ganz böser Mensch. Das erste Abendessen, das er mir serviert hat, war ein Holzbrett mit Graubrot, Wurst, Käse, Butter, dazu ein Glas Limo. An diesem Tag habe ich das deutsche Abendbrot kennengelernt.
Wie fanden Sie es?
Ich habe danach meine Mutter angerufen und geweint. Ich sagte am Telefon: „Mama, die essen kalt hier. Um 17.30 Uhr, stell dir vor Mama, um 17.30 Uhr.“ Zu der Zeit trinken wir in Frankreich einen Aperitif, aber wir essen noch nicht.
Was hat Ihre Mutter Ihnen geantwortet?
Sie sagte, du musst mit den Sitten dort leben. Mittlerweile liebe ich das deutsche Abendbrot, und wenn ich könnte, würde ich alles dafür tun, dass das deutsche Abendbrot bei der UNESCO als immaterielles Weltkulturerbe eingetragen wird, so wie bereits mit der neapolitanischen Pizza und dem französischen Sonntagsessen geschehen. Leider geht diese deutsche Tradition des Abendbrots immer mehr verloren, heute sind ständig Lieferdienste mit dem Fahrrad unterwegs und bringen Pizzen und Hamburger in die Büros oder die Wohnzimmer.
Es wird zudem immer wieder beklagt, dass viele Familien nicht mehr zusammen ihre Mahlzeiten einnehmen. Sehen Sie das auch als Problem?
Ja, gemeinsam zu essen, ist extrem wichtig. Ein Tisch ist ein kommunikativer Ort. In Frankreich ist das der Platz, an dem wir alles klären. Man zeigt sich dort liebevoll zueinander, man brüllt sich an, man schimpft mit den Kindern, weil sie in Mathe eine 5 geschrieben haben. Man versucht dort auch, von seinem Partner zu erfahren: Hast du einen kleinen Liebhaber? Willst du mir das mal sagen? In Frankreich erfährst du alles am Tisch. In Deutschland essen alle schnell und stehen nach ein paar Minuten wieder vom Tisch auf und verschwinden. In Frankreich ist das undenkbar.
Sie haben 1980 Frankreich in Richtung Deutschland verlassen. Was hat Sie hierher geführt?
Ich habe damals in der Hotelfachschule von Jürgen Schrempp gehört, dem damaligen Mercedes-Chef. Er hatte nach dem Abitur eine Lehre bei Daimler begonnen und sich dann nach ganz oben gearbeitet. Ich komme aus einem Land, in dem alles sehr elitär ist. In Frankreich wäre ein solcher Werdegang unmöglich. Dort ist eine Lehre das absolut Niedrigste, was das Berufsleben hergibt. Hierzulande ist das ganz anders, die Lehre und das duale Ausbildungssystem bedeuten mit das größte Kapital, was wir in Deutschland haben. In ganz Europa.

Langjähriger Koch im Le Moissonnier: Eric Menchon.
Quelle: Frank Rossbach
Und was stört Sie an Deutschland?
Es fällt auf, dass die Deutschen grundsätzlich schlecht über ihr eigenes Land sprechen. Das muss nicht sein. Ich bin einmal gefragt worden, was der Unterschied zwischen einem Deutschen und einem Franzosen ist. Meine Antwort war: Der Deutsche steht morgens auf, mault und geht zur Arbeit. Der Franzose steht morgens auf, mault und legt sich wieder hin. Das ist der Unterschied. Ich finde, wir haben so viele Möglichkeiten in Deutschland. Betrachtet man ganz Europa, ist Deutschland wirklich gut dran. Die Deutschen sollten ein bisschen mehr an sich glauben.
Als Sie 1980 von Frankreich nach Deutschland kamen, lebten noch viele Menschen in beiden Ländern, die in beiden Weltkriegen aufeinander geschossen haben. Spielte das bei Ihren Überlegungen, über den Rhein zu kommen, eine Rolle?
Die Nachbarin bei uns im Dorf, in dem wir gewohnt haben, hat ihren Mann in Deutschland verloren. Als sie erfuhr, dass ich nach Berlin gehe, hat sie geweint. Sie hat mir nichts entgegnet, sie hat nur geweint. Auch mein Großvater, der nach dem Ersten Weltkrieg deutsche Minen räumen musste, weinte.
Wie haben Sie reagiert?
Es war für mich irrelevant. Ich wollte die große freie Welt erleben, ich wollte allein sein. Ich wollte meinen Despotenvater nicht mehr sehen, nicht mehr hören, nicht mehr spüren. Und ich wusste, ich kann mit der deutschen Sprache gut umgehen. Ich wollte nach Deutschland. Das war mein Land. Ich hatte die Wahl zwischen Irland und Berlin. Für mich war das keine Frage: Natürlich gehe ich nach Berlin.
Wie haben Sie die Stadt erlebt?
Es war großartig! Sie müssen sich das heute mal vorstellen: 220 Quadratmeter Altbauwohnung für 350 Mark. Liliane und ich haben damals gemacht, was wir wollten. Das würde sich jeder junge Mensch wünschen, dieses Gefühl der Unabhängigkeit von damals. Wir hatten so viel Freiheit, und das ausgerechnet in Berlin mit seiner Mauer.

Kam im selben Jahr nach Deutschland wie ihr heutiger Ehemann: Liliane Moissonnier.
Quelle: Frank Rossbach
Sie leben mittlerweile länger in Ihrem Leben in Deutschland als in Frankreich. In welcher Sprache träumen Sie?
Da weiß ich gar nicht. Ich spreche immer noch permanent Französisch – mit meinen beiden Kindern, mit Eric, meinem Küchenchef, mit meiner Frau. Ich beherrsche aber auch Deutsch mittlerweile sehr gut. Mit unseren Kindern haben wir immer Französisch gesprochen, aber ich habe auf Deutsch geschimpft. Deutsch ist betonter: „Jetzt reicht’s“ klingt viel bestimmter als „Maintenant ça suffit“.
Aber Sie sind nie deutscher Staatsbürger geworden. Warum nicht?
Ich bin Gast in Deutschland und möchte nicht beispielsweise für Ihre Kinder entscheiden, sondern das ist deren Land. Ich bin sehr gerne Gast. Allerdings hatte ich auch nie den Gedanken, zurück nach Frankreich zu gehen. Ich kenne das ganze Gesundheitssystem dort nicht mehr, ich könnte auch keine Steuererklärung abgeben.
Aber in Deutschland können Sie eine Steuererklärung abgeben?
Zugegeben: Nein, das macht mein Steuerberater, ich kümmere mich darum gar nicht. Auch weil das alles seine Richtigkeit haben muss. Was ich in Deutschland gelernt habe: Das mächtigste Organ in Deutschland ist das Finanzamt. Wenn die morgen sagen, alles wird gesperrt, hast du keine Bewegungsmöglichkeiten mehr. Mit einem Richter kannst du diskutieren, mit einem Zollbeamten kannst du diskutieren, mit dem Finanzamt nicht.
Sie haben Ihren despotischen Vater erwähnt. Ist Ihr Leben, das Sie hier mit Ihrem Restaurant in Köln aufgebaut haben, auch in Abgrenzung zu Ihrem Vater gelungen? Weil Sie ihm etwas beweisen wollten?
Überhaupt nicht, ich habe mich von meinem Vater bereits mit sieben oder acht Jahren abgegrenzt. Damals hat er angefangen, mich als kleines Arschloch oder Idiot zu bezeichnen. Das war für mich der Bruch. Lange Zeit herrschte eine Abhängigkeit zu ihm, weil ich ohne ihn kein Dach über dem Kopf hatte. Als ich verstanden habe, dass ich auch ohne ihn leben und überleben kann, war meine Beziehung zu ihm endgültig vorbei. Mein Vater hat sehr oft versucht, wieder Kontakt zu mir aufzunehmen. Er hat permanent angerufen, und ich habe immer wieder aufgelegt. Aber zu meiner Mutter, die heute 87 Jahre alt ist, habe ich eine gute Beziehung. Was ich hier mache und aufgebaut habe, versteht sie allerdings immer noch nicht. Der Fokus meiner Eltern lag immer auf meinem älteren Bruder, dem Erstgeborenen.
Hat das Verhältnis zu ihrem Vater oder besser das Nichtverhältnis Ihr eigenes Verständnis als Vater geprägt?
Ich bemühe mich, öfter auf meine Kinder zu hören. Sie hatten keine glänzenden Jugendjahre, weil wir sie sehr früh ins Internat geschickt haben – was sie uns oft vorgeworfen haben. Und klar, die Gene meines Vaters sind in mir, keine Rede. Aber ich habe immer versucht, für meine Kinder da zu sein. So, wie mein Vater Erziehung verstanden hat, habe ich es ganz bestimmt nicht.
Die deutsche Gastronomie steckt in der Krise, hier bei Ihnen aber scheint das Geschäft zu laufen. Was machen Sie besser als Ihre Konkurrenz?
Dieses Unternehmen Le Moissonnier trägt unseren Stempel, das wissen unsere Angestellten, das wissen unsere Gäste. Ich kann gar nicht sagen, was wir besser machen, aber ich weiß, dass wir jede Krise genutzt haben, um zu investieren und wieder fit zu werden für den Wettbewerb. Ich denke, ein Unternehmer hat die Aufgabe, Lösungen zu finden, er sollte nicht maulen. Es hat ja keinen Sinn, ständig zu klagen, dass wir zu viel Steuern zahlen, dass die Energiekosten zu hoch und die Preise für unsere Ware extrem gestiegen sind, sondern wir müssen eben dafür auch Lösungen finden.
Aber wie sieht eine solche Lösung aus?
Die Lösung ist einfach: Versuche, als Restaurant attraktiv zu sein. Versuche, dein Geschäftsmodell so anzupassen, dass der Kunde, der Konsument es auch annimmt. Umgib dich mit Menschen, die Lust verspüren, mit dir zu arbeiten, das wird dann auch der Gast merken. Aber ein grundsätzliches Problem ist eindeutig, dass wir viel zu viele Restaurants, viel zu viel Gastronomie auf dem Markt sind.
Vielfalt ist doch schön.
Es sind einfach zu viele, die keiner eigenen Identität folgen, sondern oft Ähnliches anbieten. Wenn du immer wieder das Gleiche auf der Karte hast, immer wieder überall diesen blöden Aperol Spritz, wird das nichts. Ich kann da nur sagen: Bewegt euch! Wir haben zum Beispiel seit 35 Jahren eine Karte mit besonderen Weinen und Aperitifs. Dann bleibt der Kunde neugierig und sagt: Mensch, das kenne ich nicht, das habe ich noch nie probiert.

Kümmert sich um vieles selbst: Vincent Moissonnier knackt auch Austern.
Quelle: Frank Rossbach
Aber selbst wenn Restaurants gute Ideen haben, bleibt ein anderes Problem: die fehlenden Köche, fehlendes Servicepersonal, ein Mangel, der ja gerade nach Corona zu einem Riesenproblem angewachsen ist. Wie bekommt man wieder mehr Mitarbeiter in die Gastronomie?
Indem man diese jungen Menschen menschlich behandelt. Dass die Gastronomie eine Branche ist, in der geschlagen und 14 Stunden am Tag gearbeitet wird, in der Leute in der Küche und im Service gequält werden – das alles muss endlich ein Ende haben. Die jungen Menschen sind alle vernetzt, die berichten sich untereinander, wo es unmenschlich zugeht und wo anständig.
Wenn heute über Ernährung gesprochen wird, dann oft unter dem Aspekt der Funktionalität und der Gesundheit und weniger unter dem Aspekt des Genießens. Stört Sie das?
Für jedes Elternteil muss es eine Verpflichtung sein, sich und seinen Kindern zu verdeutlichen, dass ein Körper keine Mülltonne ist. Ein Körper muss vernünftig ernährt werden. Das ist enorm wichtig. Gut zu kochen verlangt nicht unbedingt viel Geld und viel Wissen, du musst dich nur ein bisschen mit deinen Produkten beschäftigen. Das sollte nicht schwerfallen, wir haben heute überall Internet.
Und der Genuss?
Der kommt automatisch, wenn du zu Hause etwas vorbereitest, in dem Liebe steckt. Ich koche jeden Abend für meine Frau und mich. Ich kann sagen, es ist immer Liebe dabei. Außerdem kann ich mich dabei wunderbar entspannen. Wenn viele Leute wüssten, wie viel Freude sie in ihrer Familie erzeugen können, wenn sie sich ein bisschen Mühe beim Kochen geben würden...
1987 haben Sie und Ihre Frau Liliane das Le Moissonnier in Köln gegründet. 2027 feiern Sie das 40-jährige Bestehen. Ist das ein guter Moment, in den Ruhestand zu gehen? Oder wie sind Ihre Pläne?
Das berufliche Leben ist so unberechenbar. Wir wollten schon Mitte 2023 aussteigen, aber vielleicht kennen Sie diese Situation: Man ist auf der Autobahn und überholt viele Autos. Ihre Frau sagt Ihnen ganz sanft: „Die nächste Ausfahrt ist für uns“. Ich antworte: „Die drei Autos schaffe ich noch“. Aber wenn die letzten 100 Meter kommen, ist verdammt nochmal ein 20-Tonner rechts und verhindert, dass man ausfahren kann… Ich habe es verpasst und ich arbeite mit unglaublich motivierten jungen Leuten, die mir vertrauen! Mal sehen, aber im Ernst, ich kann nicht ohne! Erstmal.
rnd